Nordsee-Stromnetz

  • Search09.02.2024

Europas Strommärkte wachsen zusammen

Offshore-Windparks, die an die Netze mehrerer Länder angeschlossen sind, hätten viele Vorteile für Europas Strommarkt. Doch noch stehen regulatorische Hindernisse im Weg. Wie sie überwunden werden könnten.

InhaltsverzeichnisToggle-Icons

    Interkonnektoren verbinden die Stromnetze über Grenzen hinweg. Über hybride Interkonnektoren könnten Offshore-Windparks ihren Strom in verschiedene Länder liefern.

    Arbeiten an einem Seekabel: Ein eng verwobenes Stromnetz soll die Nordsee-Anrainer verbinden.

     

    Von Peter Ringel

    Deutschland und Großbritannien werden erstmals direkt mit einem Stromkabel verbunden. An den Mündungen der niedersächsischen Jade und der englischen Themse läuft derzeit der Bau eines Interkonnektors an, wie solche grenzüberschreitenden Kabel im Fachjargon heißen. In vier Jahren soll das 725 Kilometer lange Gleichstromkabel quer durch die Nordsee in Betrieb gehen. Bis zu 1,4 Gigawatt kann das Kabel mit dem Namen NeuConnect dann im- und exportieren.

    Im Nordwesten von Borkum verläuft die Trasse an Flächen entlang, auf denen Offshore-Windparks geplant sind. Deren Strom hätte NeuConnect ebenfalls einsammeln können. Doch die naheliegende Idee hatte sich schnell zerschlagen: Der derzeitige Gesetzesrahmen erlaubt es nicht.

    Hybride Interkonnektoren könnten das Netz entlasten. Doch es gibt ein Problem

    Entstanden wäre ein sogenannter hybrider Interkonnektor, der zugleich dem internationalen Stromhandel und dem Anschluss von Windparks dient. Im Grundsatz hätten solche Kabel viele Vorteile. Vor allem ließe sich mit ihnen das teure Stromnetz effizienter nutzen, wodurch Verbraucher entlastet würden. Denn die heute üblichen radialen Leitungen vom Windpark zur nächsten Küste sind laut dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet nur zu rund 40 Prozent ausgelastet. Und je küstenferner Windparks sind, umso teurer wird die Anbindung. Von den rund 800 Milliarden Euro, die in der EU bis 2050 für die Offshore-Energie veranschlagt sind, entfallen zwei Drittel auf das Netz. Hybride Leitungen sind deshalb ein Kernstück der EU-Planungen. Welche Verbindungen besonders effizient wären, zeigt der Ende Januar veröffentlichte Offshore-Netzentwicklungsplan.

    Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Denn die große Frage ist, wie der Strom aus Windparks vergütet wird, die zwar nach nationalen Regeln ausgeschrieben und gegebenenfalls auch gefördert werden, aber je nach Bedarf mal in das eine, mal in das andere Land liefern.

    Der Offshore-Windpark Kriegers Flak vor der dänischen Küste ist der bislang einzige, der an ein grenzüberschreitendes Stromkabel angeschlossen ist. Dafür war eine Ausnahmeregelung der EU nötig.

    Der Offshore-Windpark Kriegers Flak vor der dänischen Küste ist der einzige, der an ein grenzüberschreitendes Stromkabel angeschlossen ist – dank einer Ausnahmeregelung der EU.

    Bislang gibt es hybride Interkonnektoren nur auf dem Papier – mit einer Ausnahme in der Ostsee: Für die internationale Anbindung des Windparks Kriegers Flak setzte die EU-Kommission eine Vorgabe aus, wonach Interkonnektoren 70 Prozent ihrer Kapazität für den Im- und Export bereitstellen müssen. „Bei Offshore-Systemen müsste diese Regel angepasst werden“, sagt Andreas Jahn vom Regulatory Assistance Project im Gespräch mit EnergieWinde. Ansonsten würden Windparkbetreiber sich kaum daran beteiligen: Wenn der Handel Vorrang vor der Einspeisung hätte, käme ihr Windstrom im Zweifel gar nicht beim Verbraucher an.

    Abhilfe könnte eine Kompensation schaffen, wie sie die Vereinbarung zum Strommarktdesign vom Dezember 2023 vorsieht. Demnach erhalten Offshore-Erzeuger zum Ausgleich von Verlusten einen Teil der sogenannten Engpasserlöse. Die Vereinbarung muss noch das Parlament und den Rat der EU passieren, laut Jahn sind keine wesentlichen Anpassungen zu erwarten.

    Offshore-Wind-Ausbau in Nordsee, Ärmelkanal, Irischer See, Skagerrak und Kattegat: Bis 2050 soll die Kapazität gewaltig wachsen. Infografik: Andreas Mohrmann

    Die zentrale regulatorische Frage ist aber die der sogenannten Gebotszone. So heißen die Gebiete, in die der Strommarkt unterteilt ist. In einer Gebotszone erhalten alle Erzeuger, die ihren Strom über die Börse verkaufen, einen einheitlichen Preis. Länder wie Dänemark und Schweden gliedern sich in mehrere Gebotszonen, in Deutschland gibt es nur eine einzige (auch wenn es gerade aus Norddeutschland immer wieder Bestrebungen gibt, das zu ändern).

    Windparks, die etwa inmitten der Nordsee über hybride Interkonnektoren an mehrere Länder angeschlossen sind, könnten an eine nationale Gebotszone gekoppelt werden. Denkbar wäre aber auch eine gesonderte Offshore-Gebotszone. Dieses Konzept präferieren die EU-Kommission und die Übertragungsnetzbetreiber offenbar. Beschlossen ist jedoch nichts.

    Das Netz wächst zusammen. Kommt damit ein einheitlicher Fördermechanismus?

    Strommarktexperte Jahn hat in der Frage eine klare Meinung: „Es wäre absurd, Windparks nicht in einer Gebotszone zusammenzufassen. Langfristig ist das der beste Weg.“

    Damit für alle Betreiber in dem Gebiet die gleichen Bedingungen gelten, müsste es dann auch einen einheitlichen Fördermechanismus geben, etwa auf der Basis von Differenzkontrakten. Diese sogenannten Contracts for Difference (CfD) werden von Großbritannien und neun EU-Staaten genutzt, darunter Dänemark und Frankreich. Auch die deutsche Windbranche spricht sich dafür aus – bislang allerdings ohne Erfolg.

    Hybride Interkonnektoren werfen noch weitere Fragen auf: Wie werden die Netzkosten zwischen den Staaten verteilt? Wird die Energie über einen Börsenplatz oder direkt vermarktet? Und wer betreibt die Gebotszone?

    „Langfristig wäre ein unabhängiger Systembetreiber sinnvoll“, sagt Jahn. Zunächst könnten das etwa die EU-Agentur Acer oder die Übertragungsnetzbetreiber übernehmen. Diese arbeiten bereits grenzüberschreitend zusammen, allein im Netz von Tennet gibt es 17 Interkonnektoren. Während für hybride Offshore-Systeme unter anderem Marktdesign und Gebotszonen anzupassen sind, ließen sich weitere bestehende Mechanismen übertragen, sagt Janina Habethal, Senior Advisor Political Affairs bei Tennet, im Gespräch mit EnergieWinde: „Der Markt entscheidet dann, wie der Strom verteilt wird.“

    Habethal wirbt für die grenzüberschreitende Anbindung von Windparks: „Wir können in Europa unser Netz effizienter auslasten und müssten weniger Windstrom abregeln.“ Der Markt werde größer, was für die Betreiber von Interesse sei. Ein vermaschtes Netz sei robuster und biete mehr Versorgungssicherheit, wenn Länder mit unterschiedlichen Erzeugungsprofilen verknüpft werden. Und in einem klimaneutralen Europa, in dem das EU-Ziel von 300 Gigawatt Offshore-Wind erreicht ist, sind stromhungrige Staaten mit kleinen Seegebieten wie Deutschland oder Belgien auf andere Anrainer von Nord- und Ostsee angewiesen.

    Anführungszeichen

    Hybride Interkonnektoren und eine gemeinsame Gebotszone könnten zur Blaupause für ein einheitliches europäisches Strommarktdesign werden

    Andreas Jahn, Regulatory Assistance Project

    Auch im Bundeswirtschaftsministerium bewertet man ein hybrides Offshore-Netz positiv. Einer Studie für das Jahr 2040 zufolge verringert es den sogenannten Redispatchbedarf für Eingriffe ins Stromnetz um 70 Prozent. Es wird deutlich weniger Offshore-Strom abgeregelt, und im Mittel wirkt die stärkere Vernetzung preisdämpfend.

    Die genauen Effekte auf die Energiepreise lassen sich Habethal zufolge noch nicht absehen. Sicher sei nur: „Die Strompreise in der EU würden sich angleichen.“

    Jahn hofft auf einen weiteren Effekt: „Hybride Interkonnektoren und eine gemeinsame Gebotszone könnten zur Blaupause für ein einheitliches europäisches Strommarktdesign werden, das auf erneuerbaren Energien basiert.“

    Go Top